Bundesgericht zur steuerlichen Zulässigkeit von Schwankungsreserven
Schwankungsreserven dürfen handelsrechtlich gebildet werden – steuerlich gelten jedoch strengere Vorgaben. In einem aktuellen Urteil bestätigt das Bundesgericht, dass Schwankungsreserven bei Marktwertbewertung von Wertschriften nur dann anerkannt werden, wenn ein konkretes Risiko plausibel dargelegt wird. Die Entscheidung stösst auf Kritik und wirft Fragen zur Kohärenz von Handels- und Steuerrecht auf.
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Das Bundesgericht hat sich in einem aktuellen Urteil (9C_625/2023) mit der Frage beschäftigt, ob Schwankungsreserven, die im Rahmen der Marktwertbilanzierung von Wertschriften gebildet wurden, auch steuerlich anerkannt werden können. Dieses Urteil schafft rechtliche Klarheit, stösst in der Praxis jedoch auf erhebliche Kritik.
Ausgangslage: Schwankungsreserve neutralisiert Kursgewinn
Im konkreten Fall bilanzierte die A. AG ihre Wertschriften in der Jahresrechnung 2019 – wie schon in den Vorjahren – zum Marktwert. Durch diese Bewertung ergab sich ein Kursgewinn von rund 560'000 Franken. Gleichzeitig erhöhte die Gesellschaft die bereits bestehende Schwankungsreserve um den gleichen Betrag, wodurch der Kursgewinn in der Erfolgsrechnung neutralisiert wurde.
Das Steueramt des Kantons Zürich rechnete jedoch nicht nur diese Erhöhung, sondern gleich die gesamte Schwankungsreserve von über 1.6 Millionen Franken steuerlich auf. Die A. AG wehrte sich gegen diese vollständige Aufrechnung. Das Verwaltungsgericht Zürich entschied, dass nur die im Jahr 2019 zusätzlich gebildete Reserve steuerlich nicht zulässig sei. Gegen dieses Urteil gelangte die A. AG ans Bundesgericht, welches den Entscheid der Vorinstanz bestätigte.
Steuerliche Anerkennung nur bei konkretem Risiko
Das Bundesgericht hält grundsätzlich fest, dass Verlustrisiken auf Wertschriften im Rahmen der handelsrechtlichen Buchführung durch Rückstellungen oder Schwankungsreserven abgebildet werden dürfen. Steuerlich zulässig sind solche Reserven jedoch nur, wenn sie auf einem konkreten und messbaren Risiko beruhen.
Allgemeine Marktrisiken oder übliche Volatilität von Wertschriften reichen für eine steuerlich wirksame Rückstellung nicht aus. Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn ein kurzfristiger Verkauf der Wertschriften aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. Ebenso kann eine Rückstellung unter Umständen gerechtfertigt sein, wenn während des Geschäftsjahres bereits eingetretene Kursschwankungen vorliegen. Entscheidend ist stets, dass ein spezifisches Risiko benannt und nachvollziehbar begründet werden kann.
Da die A. AG lediglich mit allgemeinen Marktveränderungen argumentierte, fehlte es laut Bundesgericht an einer solchen konkreten Begründung. Die Erhöhung der Schwankungsreserve im Jahr 2019 war deshalb steuerlich nicht zulässig.
Handelsrechtlich zulässig, steuerlich jedoch nicht anerkannt
Nach geltendem Handelsrecht ist das Vorgehen der A. AG zulässig. Wer seine Wertschriften gemäss Artikel 960b Absatz 1 des Obligationenrechts (OR) zum Marktwert bilanziert, darf zur Abfederung von Kursschwankungen eine sogenannte Schwankungsreserve bilden. Dabei handelt es sich um eine pauschale Wertberichtigung, vergleichbar mit einem steuerlich allgemein akzeptierten Warendrittel (beim Warenlager) oder einem Delkredere (bei Forderungen aus Lieferung und Leistung). Diese Reserve stellt keine klassische Korrektur einer Überbewertung dar, sondern dient insbesondere der Glättung von Ergebnissen.
Das Obligationenrecht macht dabei keine festen Vorgaben zur Höhe der Schwankungsreserve. Die A. AG durfte den gesamten Kursgewinn handelsrechtlich mit einer entsprechenden Reserve neutralisieren. Diese Konformität wurde auch vom Bundesgericht nicht infrage gestellt. Trotzdem stellt das Bundesgericht fest, dass eine steuerliche Anerkennung davon unabhängig ist. Nur wenn ein Wertschriftenbestand zu Anschaffungskosten bilanziert wird, bleiben unrealisierte Kursgewinne ohne Steuerfolge. Wer hingegen Marktwerte verwendet, muss mit einer unmittelbaren Steuerbelastung rechnen, sofern keine begründete, d.h. messbare, Schwankungsreserve vorliegt.
Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichts
Das Urteil des Bundesgerichts wird in der Fachwelt mehrheitlich kritisch aufgenommen. Es wirkt gemäss Lehre insbesondere widersprüchlich, dass ausgerechnet ein handelsrechtlich vorgesehenes Bewertungswahlrecht zu einer steuerlichen Benachteiligung führen kann. Insbesondere, wenn die Steuerpraxis sowie auch das Bundesgericht pauschale Wertberichtigungen beim Warenlager oder bei Forderungen weiterhin zulassen, obschon diesbezüglich keine explizite handelsrechtliche Grundlage besteht. Die Bildung einer Schwankungsreserve nach Artikel 960b Absatz 2 OR sollte zudem eigentlich Transparenz schaffen. Wenn diese Reserve steuerlich nicht anerkannt wird, unterläuft das Steuerrecht gewissermassen den Sinn dieser Regelung.
Auch der Föderalismus sorgt für Unmut. Während einige Kantone pauschale Rückstellungen für Wertschwankungen anerkennen und diese Pauschalen gemäss Erwägungen des Bundesgerichts offenbar von diesem weiterhin geschützt werden, verwehrt das Bundesgericht nun die steuerliche Geltendmachung einer gesetzlich vorgesehenen Schwankungsreserve im Kanton Zürich, welcher keine solche Pauschal-Lösung zulässt. Dies erscheint nicht konsequent, da in Bezug auf die Thematik kein kantonaler Autonomiebereich besteht.