3.3.2021

Anforderungen an die Abkommensberechtigung

Gewinnausschüttungen und geldwerte Vorteile einer schweizerischen Kapitalgesellschaft unterliegen grundsätzlich der schweizerischen Verrechnungssteuer von 35%. Sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, ist aber eine Rückerstattung der Verrechnungssteuer im internationalen Verhältnis aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) möglich.

Die ESTV hat ihre Anforderungen zur Inanspruchnahme solcher sog. Abkommensvorteile insb. für personenbezogene Holdingsgesellschaften (auch «Personal Holdings» genannt) in den vergangenen Jahren wiederholt deutlich gelockert. Der nachfolgende Beitrag erläutert zuerst die derzeit geltenden allgemeinen Voraussetzungen zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf Dividenden im internationalen Verhältnis und illustriert diese dann konkret an einem Praxisbeispiel zu einer deutschen personenbezogenen Holdinggesellschaft.

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A. Materielle Voraussetzungen für die Abkommensberechtigung

1. Ansässigkeit im anderen Staat

Die Dividende muss der Anteilsinhaberin tatsächlich zugerechnet werden können und die Anteilsinhaberin muss im Sinne des jeweils anwendbaren DBAs als eine im anderen Staat ansässige Person gelten. Dieses Kriterium ist immer dann erfüllt, wenn die Anteilsinhaberin im anderen Staat tatsächlich (unbeschränkt) steuerpflichtig ist.

2. Nutzungsberechtigung

Des Weiteren muss die Anteilsinhaberin die effektive Nutzungsberechtigung am Dividendenbetrag haben. Gemäss ständiger Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts gilt dabei als Nutzungsberechtigter, wer die Dividende voll verwenden kann und daran vollen Genuss hat. Ist die Empfängerin hingegen durch eine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung in dieser Verwendung eingeschränkt, weil sie die Dividende von Vertrags oder Gesetzes wegen an eine andere Person weiterleiten muss, ist sie nicht Nutzungsberechtigte.

Nach der aktuellen Fassung des Kommentars der OECD muss die Weiterleitungspflicht rechtlicher Natur sein, d.h. ihren Grund in einem Vertrag oder einem Gesetz haben. Ob eine solche rechtliche Weiterleitungspflicht besteht, kann sich aber nicht nur aus Vertragsdokumenten, sondern auch aus den Umständen ergeben. Rein faktische Weiterleitungspflichten genügen auch nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht mehr, um der Empfängerin einer Dividende die Nutzungsberechtigung abzusprechen (vgl. Entscheid des Bundesgerichts vom 19. Mai 2020, 2C_880/2018, E. 4.3).

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3. Ausschluss von Abkommensmissbrauch

Für die Gewährung der Vorteile aus einem DBA muss zudem ein Abkommensmissbrauch in der Form eines sog. «Treaty Shopping» ausgeschlossen werden. Als «Treaty Shopping» werden dabei Gestaltungen bezeichnet, die auf das Erlangen von in diesem Abkommen vorgesehenen Entlastungen zum mittelbaren Vorteil von in Drittstaaten ansässigen Personen zielen.

Gemäss derzeitiger Praxis der ESTV müssen gewisse Substanzanforderungen im Ausland erfüllt sein, damit die Rückerstattung der ausländischen Anteilsinhaberin nicht als missbräuchlich qualifiziert wird. Diese können in folgende drei Substanztests unterteilt werden:

  • Personelle- und infrastrukturelle Substanz: Die ausländische Gesellschaft muss über eigene Büroeinrichtungen und über mind. einen Mitarbeiter verfügen.
  • Funktionelle Substanz: Wenn es sich bei der ausländischen Gesellschaft um eine reine Holdinggesellschaft handelt (d.h. ohne eine operative Tätigkeit), dann sollte sie mehrere aktive Tochtergesellschaften halten. Neben der schweizerischen Beteiligung verlangt die ESTV regelmässig mind. eine weitere in- oder ausländische Tochtergesellschaft.
  • Bilanzielle Substanz: Bei einer reinen Holdinggesellschaft sollte das Eigenkapital im Verhältnis zu den Gesamtaktiven basierend auf den Buchwerten mind. 30% betragen.

Die drei Substanztests können bei einer börsenkotierten Konzernobergesellschaft und neuerdings auch bei einer personenbezogenen Holdinggesellschaft alternativ erfüllt werden. Strengere Massstäbe wendet die ESTV nach wie vor bei Private Equity-Strukturen an.

Eine personenbezogene Holdinggesellschaft ist ein Unternehmen, welches den grössten Teil des Ertrags aus passiven Einkünften (d.h. Dividenden, Zinsen, Mieten oder Lizenzgebühren) erwirtschaftet und die Mehrheit der Aktien im Besitz von einer bzw. wenigen einzelnen natürlichen Personen ist.

Private Equity-Strukturen: Private Equity ist eine Form der Beteiligung an Unternehmen, die in der Regel nicht an einer Börse kotiert sind. Das Kapital für Private Equity-Beteiligungen kommt dabei regelmässig von institutionellen Anlegern sowie von vermögenden Personen. Durch das Zusammenführen von Anlagegeldern auf der Stufe des Private Equity-Vehikels führt die Anlegergemeinschaft Investitionen zu einer tieferen residualen Sockelbelastung berechtigenden, qualifizierenden Beteiligung zusammen.

B. Praxisbeispiel Deutschland

Eine in Deutschland ansässige ordentlich besteuerte natürliche Person hält seit mehr als 12 Monaten über eine in Deutschland ansässige Holding eine schweizerische Tochtergesellschaft. Die Holdinggesellschaft verfügt (nach Buchwerten) über einen Eigenkapitalisierungsgrad von 30%, aber weder über personelle Substanz (Personal und/oder Büros) noch über funktionelle Substanz (d.h. keine weitere Beteiligungen).

Die deutsche Holdinggesellschaft ist gemäss Art. 10 Abs. 3 DBA zwischen der Schweiz und Deutschland (DBA CH-DE) grundsätzlich zur vollständigen Rückerstattung der Verrechnungssteuer berechtigt, da sie unmittelbar mehr als 10% des Kapitals der die Dividenden zahlenden schweizerischen Gesellschaft über einen Zeitraum von mind. 12 Monaten hält.

Obschon der Inhaber selbst gemäss Art. 10 Abs. 2 Bst. c DBA CH-DE nur zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer bis zu einem Residualsatz von 15% berechtigt wäre, ist die Holdinggesellschaft gemäss derzeitiger Praxis der ESTV vollständig rückerstattungsberechtigt, da diese einen der Substanztest erfüllt.

Es muss an dieser Stelle jedoch angemerkt werden, dass auch in dieser Konstellation die weiteren Umgehungstatbestände wie bspw. die sog. Altreservenpraxis oder die Rechtsfigur der internationalen Transponierung weiterhin zur Anwendung kommen können.

C. Fazit

Bei Vorliegen der Abkommensberechtigung kann die schweizerische Kapitalgesellschaft vor Fälligkeit der Dividenden mittels Formular 823B bei der ESTV eine Bewilligung zur Inanspruchnahme des internationalen Meldeverfahrens beantragen. Dadurch können Gewinnausschüttungen ohne Ablieferung der Verrechnungssteuer an die deutsche Holdinggesellschaft vorgenommen werden. Die Verrechnungssteuerpflicht wird diesfalls mittels Meldung der Dividende an die ESTV erfüllt. Hierzu müssen innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit der Dividende das Formular 103 bzw. Formular 110 (bei einer GmbH) zusammen mit dem Formular 108 eingereicht werden.

Die Ausführungen zu einer deutschen personenbezogenen Holdinggesellschaft (auch «Personal Holding») können dabei grundsätzlich auch auf eine personenbezogene Holdinggesellschaft aus einem anderen Staat übertragen werden, mit dem die Schweiz ein dem DBA CH-DE entsprechendes Abkommen abgeschlossen hat.

Da die Anforderungen der ESTV an die Abkommensberechtigung nicht in einer verbindlichen Praxisanweisung geregelt sind und sich diese in den letzten Jahren wiederholt erheblich verändert haben, empfiehlt es sich bei einer personenbezogenen Holdinggesellschaft immer, vor der ersten Ausschüttung von Dividenden die Abkommensberechtigung mit der ESTV zu klären.

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Autoren
:
Livio Bucher
Tags:
Int. Steuerrecht
Steuerplanung